Um besser zu verstehen, wie verschiedenste Themen, Positionen, Perspektiven, Stimmungen in visueller Kommunikation besser ausgedrückt werden können, ist es notwendig, die Arbeit anderer und deren Perspektiven auf diese Dinge zu analysieren. Die Bandbreite an möglichen Ausdrucksweisen in konkreten narrativen Situationen kann so katalogisiert werden. Offensichtlicherweise kann Theorie solche Dinge sehr gut. Um Produktionsabläufe und die in diesen auftretende Einschränkungen besser verstehen zu können, ist es notwendig (wenigstens für mich) Comics- und Character Design-Forschung mit konkreter Entwicklungsarbeit, also mit Produktion von Comics und Figuren zu erweitern.
Mit Sicht auf Comics und visuelles Erzählen, erlauben mir verschiedenste Kombinationen von Bild und Text, besser zu verstehen warum manche Ausdrucksweisen und Kompositionen der Seite - und des Erzählflusses - anderen vorgezogen werden, also welche Effekte konkrete Ausdrucksweisen haben können. Ebenso wird der Einfluss von Seitenformaten und Anwendung bestimmter Stile beim Zeichnen, Schreiben, Kolorieren usw. auf die jeweiligen Produktionsprozesse und das Endprodukt deutlicher. Dabei wird immer klarer, welche Lösungen besonders effektiv sind usw. Das ist erfahrenen Comic-Schaffenden schon längst klar, aber für Theoretiker erlaubt dieser Erkenntnisgewinn andere Beschreibungen und Einsichtungen bei der Analyse von Comics.
Im Character Design hat vor allem meine Arbeit im Puppenbau und mit Puppentheater erhebliche Auswirkungen auf mein Verständnis davon, wie sich konkrete Details auswirken. Jede Materialwahl hat Konsequenzen für die Produktion, die sichtbare Gestaltung. Natürlich bedingen der Stil der Puppen selbst, ihre oft nicht sichtbare Mechanik und die Wahl der Steuerung der Puppen, wie diese bewegt werden, welche Ausdrucksweisen mit der jeweiligen Steuerung möglich oder eben nicht möglich sind usw. Charakter, Stimmungen, aber auch Kontexte müssen jeweils anders ausgedrückt werden, um stilistisch und sicher zu funktionieren. Schon hierbei können pop-kulturelle und andere Verweise (oder auch Zitate) einfliessen, durchaus auch unbemerkt, die später schwer zu kontrollieren oder einzugrenzen sind - die Handlung eines Stücks kann nie ganz von der Figurengestaltung getrennt werden.
Reflektiertes Arbeiten in Medienproduktionen, deren Prozesse und ihre Ergebnisse haben mein Verständnis und meine Interpretation von Medien sinnvoll erweitert, entsprechend sehe ich sie als künstlerische Forschung, wobei der Begriff mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen verwendet wird. Meine Sicht ist diese:
Wenn ein professioneller Grafiker oder visueller Künstler in wohlüberlegter Weise Material produziert, das konkrete Botschaften transportiert, kann das eine Routine-Produktion sein, die die Funktion etablierter Ausdrucksweisen bestätigt, aber keine neue Fertigkeit oder Einsicht beim Produzenten erzeugt. Ein reflective practicioner (s. Donald Schön 1983) kann durchaus visuelle Kommunikationen und auch visuelle Kunst gestalten und produzieren, ohne ihre/seine Routinen herauszufordern oder Ausdrucksfähigkeit zu erweitern. Ab welchem Punkt betreibt ein Praktiker aber künstlerische Forschung? Geschieht dies im Prozess des Suchens und Experimentierens, der in Produktionen integriert ist, die nicht einfach bestehende Ausdrucksroutinen wiederholen? Oder geschieht dies im Ausdruck von Gedanken über die Abläufe und experimentelle und erforschende Aspekte in konkreten Produktionen oder ist künstlerische Forschung sogar auf die Kommunikation von Ergebnissen konkreter Versuche angewiesen?
Manchmal schafft die Anwendung absolut etablierter Routinen für Medienproduktion gerade die Voraussetzung dafür, dass experimentelle Arbeit mit konkreten Aspekten innerhalb einer solchen Produktion möglich werden: Manche Themen sind in sich sehr fordernd, schwierig, und sie sind eher verhandelbar, wenn sie in einer dem Publikum vertrauten Weise kommuniziert werden. Eine den meisten im Publikum unbekannte konkrete Herausforderung oder Wirklichkeit erreicht dieses Publikum eher, wenn dieses nicht schon vom Erzälen selbst herausgefordert (oder sogar überfordert?) wird. Wenn aber experimentell an einer konkreten visuellen Ausdrucksweise gearbeitet wird, erschweren oder verhindern entsprechende Erzählroutinen genau diese Versuche, eine andere Ausdrucksweise zu entwickeln. Usw. usw.
Manche Ausdrucksformen müssen praktisch umgesetzt werden um herauszufinden, ob sie funktionieren - theoretische Gedanken zu ihren visuellen Qualitäten auf der jeweiligen Comic-Seite bleiben eben nur theoretisch bis sie angewandt und getestet werden. Aber was in der Theorie überzeugend wirkt, kann in der Umsetzung auf der Comicseite oder im Figurendesign auch schlicht und einfach nicht funktionieren.
Alles systematische Lernen etabliert ein Repertoire an Routinen, mit denen anfallende Arbeiten erledigt werden, sowohl in einer Handwerkslehre als auch im akademischen Studium, in jeder lernenden Entwicklung von Können und Wissen beginnend mit einfachen Aufgaben, die dann zunehmend komplex und/oder spezialiert werden. Mit dem erfolgreichen Abschluss einer konkreten Ausbildung ist ein Grund gelegt, der durch fortgesetztes Arbeiten die gelernten Grundlagen erweitert, mehr Wissen und Können schafft - Können ist dabei die Fähigkeit, Wissen anzuwenden. Neue Werkzeuge, Materialien, Zusammenhänge werden integriert, tatsächlich oder metaphorisch: im akademischen Kontext werden Theorien und Methoden ergänzt, das ist im Prinzip nicht anders. Wann eine Person in dieser Entwicklung ihre jeweils eigenen Routinen und Methoden überdenkt und gegebenefalls andere Ansätze entwickelt, hängt mit den eigenen Fähigkeiten und den jeweiligen Zusammenhängen zusammen. Handwerker, Designer, Kunsthandwerker oder Künstler, die sich neuen Herausforderungen stellen, erweitern dabei ihr Repertoire und ihre Fähigkeiten - auch für zukünftige Arbeit, natürlich. Diese Entwicklung kann an irgendeinem Punkt anhalten, muss es aber nicht.