Comics |
Hier ist ein Link zu einem digitalen Comic, infinite canvas-style, in dem die Textebene Variationen und interne Bezüge innerhalb des vertikalen Bandes der sich wiederholenden Bilder schafft: Done with Beckett. Die einzelnen Bilder und die Sequenzen auf der Bildebene verweisen auf andere Kontexte als die Texte auf der Textebene. Sie sind aber auch im direkten Zusammenhang miteinander bedeutungstragend.
Inhalte auf beiden Ebenen laden dazu ein, den Referenzen in Bild und Text zu folgen, aber es ist den Lesenden überlassen dies zu tun oder auch nicht - je nach Vorwissen und Interessen von Lesern erzählt der Comic also mit Unterschieden, die die jeweiligen Leser bewusst oder unbewusst schaffen, nicht der Comic! Denn selbstverständlich ist Lesen aktiv: jede/r Lesende schafft ihre/seine Welt auf Grundlage des angebotenen Lesematerials: im Comic also Bilder, ihre Elemente, Bildsequenzen, und die Texte und ihre Bestandteile und Gestaltung. Nach wie vor gilt, dass Kommunikationen (nicht nur Texte und Bilder, sondern auch Filme usw.) mit ihrer Veröffentlichung Bedeutungen entwickeln, die ihre Urheberinnen bzw. Urheber nicht mehr kontrollieren, da Veröffentlichungen in verschiedensten Zusammenhängen gesehen wird (das ist, was Roland Barthes als "Tod des Autors" bezeichnet hat).
Die zur Zeit beste Definition von Comics bietet Ann Miller in Reading Bande Dessinée. (Bristol: Intellect, 2007; p. 75) - bande dessinée ist der französiche Begriff für comics). Ihre Definition ist eine Weiterentwicklung der Definition Scot McClouds, ist aber deutlich klarer zu Text in Comics: "bande dessinée produces meaning out of images which are in a sequential relationship, and which co-exist with each other spatially, with or without text."
In erläuternder Übersetzung: Bande Dessinée schaffen Aussagen aus Bildern, die in sequentiellem Zusammenhang aufeinander (d.h. sie sind inhaltlich und formal aufeinander bezogen) und in räumlichem Bezug zueinander stehen, wobei sie mit oder ohne Text sein können. Denn Comics funktionieren auch deshalb als effektives Erzählmedium, weil die Logik der bildlichen Erzählung in bestimmten Bezügen der Textebene fixiert werden kann, wenn die aus den Bildern allein nicht erkennbar ist. Im Gegenzug fehlen im Text in der Regel Details, die die Bilder bieten können.
Es besteht keine Einigkeit darüber, an welchem Punkt Comics anfangen und Bilderbücher als illustrierte Texte aufhören. Wenn die Bilder wesentliche Informationen liefert, die nicht im Text gegeben werden, sind die Bilder keine reinen Illustrationen des Texts. Wenn hauptsächlich Bilder die Geschichte erzählen und Texte nur ergänzende Informationen geben, die die Bilder konkret kontextualisieren, sprechen wir eindeutig über Comics.
Es gibt keine Ein-Bild-Comics. Ein einzelnes Bild kann eine Situation, einen Moment, einen Zustand zeigen. Dabei spielt der Stil der das Genre keine Rolle. Egal ob ein Bild ein Gemälde oder eine Witzzeichnung oder Karrikatur ist, ob es allegorische oder rein abbildende Funktion hat, es kann einen vorherigen oder folgenden Moment oder Zustand andeuten, der dem eigentlich abgebildeten folgt oder vorausgeht, aber es kann keine Geschichte erzählen, da es keine Sequenz ist, die einen Handlungsverlauf oder argumentativen Aufbau zeigt (für eine detaillierte Auseinandersetzung mit dieser Begrenzung s. Detlef Hoffmann (Hg.): Erzählende Bilder. Oldenburg: Isensee 1998). Z.B. gibt es keine Vorher-Nachher-Folgen innerhalb eines Bildes. Aber ein Bild kann eine Bildfolge enthalten, die Zustände oder Handlungsabläufe zeigt. In einem solchen Fall steht eine Abfolge von Bildern ohne sichtbare Rahmen vor einem gemeinsamen Hintergrund. Wenn Definitionen einschränkend angewandt werden sollen, wären solche zusammengesetzten Bilder als Bilder mit comic-narrativen Elementen zu bezeichnen, aber sie bestehen aus mehr als einem Bild. Aufgrund der enormen Bandbreite an gestalterischen und erzählerischen Möglichkeiten dieser Form, ist in jedem einzelnen Fall zu klären, ob er einen Comic darstellt oder nicht. Sobald wir zwei Bilder haben, die zusammen eine Geshcichte erzählen, sollten wir einen Comic vor uns haben. Auch zu definieren wäre, was eine Geschichte ausmacht und wie die Bilder im Bezug aufeinander positioniert sein müssen, um als Bildfolge erkannt und gelesen zu werden.
Neben dem eigentlichen Inhalt, der Fabel, vermittelt jeder Comic in seinen einzelnen Elementen gezielt Stimmungen. Die Wahl von Perspektiven, Bildausschnitten, der Farbgebung, des grafischen Stils, als auch der Typografie geschieht aufgrund ästhetischer Absichten. Gedanken, Zustände, Handlungen sollen mit Hilfe von Bildern und Texten so dargestellt sein, daß die Inhalte stimmungsvoll aufgenommen werden.
Sach-ComicsDie Unterscheidung von Sach- und anderen Comics läßt sich vielleicht am einfachsten so ausdrücken: Comics sind primär narrativ angelegt und dienen nicht als Begleitung zu einem technischen Artefakt oder als Handlungsanweisung, wie dies eben Sach-Comics tun. Normalerweise erzählen sie unabhängig von begleitenden Objekten, aber bei einem genaueren Blick in Montageanleitungen oder Gebrauchsanwweisungen finden sich sequentielles graphisches Erzählen, also nicht-fiktionale Comics, die zwar keine packenden Spannungsverläufe bieten, aber zusammenhängende wesentliche Informationen, die mit einer narrativen Absicht gestaltet worden sind, zum Beispiel dazu, wie aus einem flachen Paket ein Möbelstück zusammengesetzt werden kann. Andere Comics vermitteln Informationen, die für die öffentliche Gesundheit oder Hygiene wichtig sind oder auch welche Schutzansprüche die Genfer Konvention festlegt, usw. In welchem Literaturbereich Dokumentar-, journalistische und andere nicht-fiktionale Comics einzuordnen sind, die zum Beispiel Reflektionen über naturwissenschaftliches oder anderes wissenschaftliches aber auch nicht-wissenschaftliches Wissen enthalten, ist noch nicht entschieden. Literarische Genres fliessen zum Teil ineinander und manche mischen sogar fiktionale und nicht-fiktionale Erzählstränge. Es bleibt auch abzuwarten, wie Comicstheorie mit diesen Formen umgehen wird - in der Praxis entwickelt sich derzeit eine wunderbare Breite und Tiefe von Möglichkeiten. Hier ist ein Link zu Yalla Yalla, einem experimentellen Comic im Calice Magazine über die Arbeitsbedingungen der Paketlieferdienstler in Berlin. Der Comic fokussiert auf Aspekte, Strassen, Details von Eingängen usw., aber in wie weit er dokumentarisch oder essayistisch ist, scheint vom Wissen der Lesenden abzuhängen. Ein Sonderfall im Grenzbereich zwischen Sach-Comic und erzählerischem Comic sind fiktionale Gebrauchsanleitungen, die narrativ und mit einer dramaturgisch bestimmten Erzählabsicht Handlung in sequentiellen Bildern erzählen und dabei Stilelemente des Sach-Comics verwenden. Sie ziehen ihren Witz aber aus der Anlehnung an der Technikdokumantation und nicht aus ihrer Comicalität, die stattdessen als gegeben vorausgesetzt wird. Je mach kulturellem Kontext der Lesenden, zeigt zum Beispiel der nebenstehend abgebildete Comic das Entzünden einer blauen Kerze oder er bezieht sich auf eine spezifische Gedenkpraxis - in diesem Fall das Entzünden einer blauen Kerze als Fokus des Erinnerns an Freunde und Mitspieler im Schlaraffischen Rollenspiel. Mit oder ohne diese spezifische kulturelle Information ergibt der Comic Sinn und ist lesbar, aber je nach Kontext bekommt er unterschiedliche und über das eingentliche Anzünden der Kerze hinausgehende Bedeutungen. Deutlich ist, dass non-fiktionale Comics sehr auf Bezüge zu Wirklichkeiten ausserhalb der Narration des Comics angewiesen sind, aber dies gilt gleichfalls für fiktionale Comics und die in diesen gegebenen Bezügen - ihrem point in den Worten Keith Jonstones (in: Impro for Storytellers. Chapter 5. London: Faber&Faber 1999). |
Comic-Analyse2025 erscheint die überarbeitete und aktualisierte dritte Auflage! Das Besondere an meiner "Comic-Analyse" ist, dass sie eine Systematik zur Analyse von allen Arten von Comics und anderen Bildergeschichten anbietet, sowohl traditionelle europäische Comics wie auch Manga - aber auch Montage- und Gebrauchsanleitungen. Dabei geht es darum, die Kompositionsdetails eines jeden Comics konkret beschreiben zu können, bevor das Material einer bestimmten Theorie oder Denkschule folgend analysiert wird. Das ist selbstredend wichtig wenn wir die jeweilige Bedeutung eines Comics diskutieren wollen, aber die Deutung von Material baut auf seiner detaillierten Beschreibung auf. Dafür bietet die "Comic-Analyse" eine Grundlage (ursprünglich war das Buch meine Habilitationsschrift an der Fakultät I der Technischen Universität Berlin). |
"Teaching comics-drawing over the internet - despite everything?" Unter Vorbereitung, erscheint in: Krantz, Gunnar, Tina-Marie Whitman, Magnus Nilsson (eds.): (Arbeitstitel) Scandinavian Comics Research. DeGruyter, 2024/25.
"defining forms or types (not genres): one-panel comics are a contradiction in terms" in: International Journal of Comic Art, Vol. 26:2, Winter 2024.
"German Comic Art, Intergenerational Memory and Everyday Objects." (mit Anders Høg Hansen). European Comic Art Vol 17/2, 2024.
"Defining the Graphic Novel" in: International Journal of Comic Art, Vol. 24:1, Spring/Summer 2022.
"Review of Johannes C.P. Schmid, Frames and Framing in Documentary Comics" in: European Comic Art, Vol. 15:2, 2022.
"Belonging in Auto|Biographical Comics: Narratives of Exile in the German Heimat" (with Ofer Ashkenazi). In: Nima Naghibi & Candida Rifkind, Eleanor Ty (eds.): Migration, Exile, and Diaspora in Graphic Life Narratives. Special Issue of a/b: Auto/Biography Studies. Vol. 35, 2; 331-357. London: Taylor&Francis.
“Narrative Strategies - African Types and Stereotypes in Comics” und auf deutsch:
“Erzählstrategien - Afrikanische Typen und Stereotypen in Comics” in: Corinne Lüthy, Reto Ulrich, Antonio Uribe (Hrsg./eds.): Kaboom! Von Stereotypen und Superheroes - Afrikanische Comics und Comics zu Afrika; Kaboom! Of Stereotypes and Superheroes - African Comics and Comics on Africa. Basel: Basler Afrika Bibliographien, 2020.
”Comics as Historiography” (mit Ofer Ashkenazi). In: Schmidt, Johannes and Laura Schlichting (eds.): Graphic Realities. ImageText 11:1, Sept. 2019.
“Blind readers and comics - reflecting on comics' storytelling from a different perspective” in: Ian Hague et al. (eds.): Comics Forum. 4 August 2019.
"Negotiating Documentation in Comics" (von Ofer Ashkenazi und mir). In: International Journal of Comic Art, Vol. 20:1, Spring/Summer 2018; 587-597.
"Abstraction and non-sequitur." In: Aarnoud Rommens, Pablo Turnes, Erwin Dejasse, Björn-Olav Dozo (Eds.): Abstraction and Comics. Brüssel: La 5e Couche (5c), 2019.
"Experiments in Comics Storytelling" in: Studies in Comics 6.1, 2015: Proceedings of the fifth annual International Graphic Novel and Comics Conference; 157-165.
"Sequential Images, the Page, and Narrative Structures" in: International Journal of Comic Art, Vol. 17:2, Autumn 2015; 561-571.
"Experiments in Digital Comics: Somewhere between comics and multimedia storytelling" in: Ian Hague (ed.): Comics Forum. March 13, 2015.
"Spirou – över 70 år av figurdesign" (auf schwedisch) in bild & bubbla nr. 201/2014; 98-101.
"Comics for the Blind and for the Seeing" in: International Journal of Comic Art, Vol. 16:1, Spring 2014; 477-86.
"Comics" (auf deutsch) in Jens Schröter (Hg.): Handbuch Medienwissenschaft. Stuttgart: J.B.Metzler; 258-261.
"Die Vermittlung von Zusammenhängen und Handlungsfolgen mit Hilfe beweglicher Elemente" (in German) in Urs Hangartner, Felix Keller und Dorothea Oechslin (Hrsg): Wissen durch Bilder. Sachcomics als Medien von Bildung und Information. Bielefeld: Transcript; 311-326.
"Comics and History: Myth-making in Nazi-references" in: International Journal of Comic Art, Vol. 15:1, Spring 2013; 270–286.
"Digital Comics" in: Scandinavian Journal of Comic Art (SJoCA), Winter 2012; 82–91.
"Grenzüberschreitungen: Technikdokumentation und drei-dimensionale Bilder in fiktionalen Comics" (in German) in: Thomas Becker (Hg.): Comic: Intermedialität und Legitimität eines popkulturellen Mediums. Bochum: Bachmann Verlag 2011; 147-158.
"Comic und Geschichtsbewußtsein - Mythisierung im Gegensatz zur Historisierung" (in German)
in: Klaus Farin, Ralf Palandt (Hrsg.): Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Comics. Berlin: Archiv der Jugendkulturen 2011; 419-427.
Research paper "Comic" (in German) in: Historisches Wörterbuch der Rhetorik (HWRh).
Tübingen: Max Niemeyer 2011; 169-185.
"Jaki bodzie komiks cyfrewy?" ("Digital Comics" in Polish, translated by Michal Blazejczyk)
in: Zeszyty Komiksowe Nr. 10, pazdziernik 2010.
"Comics and History: Myth-making versus Historisation" (in Hebrew, translated by Ofer Ashkenazi)
in: Slil: On-Line Journal for History, Film and Television Winter-Issue 2010.